2013 – Loiretal

Reisebericht von Gesa und Hansjürgen Krötenheerd:

Schloss Chenonceau (Foto: Christine Rüppell)

Anmerkungen zur DFG-Themenreise vom 29.06. bis 09.07.2013

Im Garten Frankreichs I . Ein besonderer kultureller und gastronomischer Spaziergang durch das östliche Loiretal (Weltkulturerbe der UNESCO) für Genießer“

Leben wie Gott in Frankreich

Die Themenreise der DFG in diesem Jahr war eine Schlösser-Reise und führte uns besonders in die Zeit des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit.

Hier eins vorweg: Wir leben heute besser als die damaligen Könige!

Die Könige damals zogen bis ins 16. Jahrhundert dauernd von Schloss zu Schloss um und nahmen alles Mobiliar mit, welches sie auseinander schrauben und an Ort und Stelle wieder zusammensetzen ließen. Das Reisen geschah in Reisekutschen und war vielleicht gemütlich, aber langwierig (wie wir bei einer Kutschfahrt in Chambord feststellen konnten) und bestimmt nicht immer bequem. Wir reisten in Alwins modernem Reisebus und fuhren an einem Tage von Oldenburg nach Orléans. Über Alwins Fahrkünste wäre mancher König von damals in Verzückung geraten (sind wir natürlich auch). Selbstverständlich konnte jeder von uns in seinem Proviant-Päckchen Südfrüchte nach Belieben mit sich führen. Und das kann er das ganze Jahr, wenn er verreist. Damals besaß nur der König und nur zur Reifezeit, wenn’s hoch kam, einige vielleicht nur halbreife Orangen aus seiner Orangerie.

Und es will schon etwas heißen, wenn man damals dem König als Geschenk nichts weiter mitzubringen brauchte als ein Päckchen Pfeffer.

Hier zunächst ein kurzer Gesamtüberblick über unsere Reise mit einzelnen persönlichen Eindrücken:

Die Busfahrt führte uns am ersten Tag von Oldenburg durch Holland, Belgien, den Norden Frankreichs über Paris nach Orléans, wo wir im zentral gelegenen Hotel Mercure für drei Nächte angemeldet waren. Fünf weitere Nächte verbrachten wir in Tours ebenfalls in einem Super-Hotel (Hôtel de l’Univers) und die letzte Nacht in Paris. Wir hatten drei Stadtführungen: die beiden allgemeinen in Orléans und Tours unter qualifizierter Leitung und eine dritte gastronomische unter dem Thema „Tours la Savoureuse“. Neben der Abtei und dem Oratorium in St-Benoît-sur-Loire und Germigny-des-Prés besuchten wir insgesamt die neun Schlösser Sully-sur-Loire, La-Ferté-Saint-Aubin, Villesavin, Chambord, Amboise, Blois, Beauregard, Cheverny und Chenonceau. Einige standen, wie Chambord, unter staatlicher Aufsicht. Zu dem Privatschloss Chenonceau brachen wir besonders früh auf, um vor dem Hauptschwarm der Besucher – so z.B. der Japaner – unseren Durchgang beendet zu haben. Jeder erhielt seinen eigenen Audioführer. Und nur dieses eine Mal hatten wir anschließend eine erhebliche Verzögerung, weil das Personal sich bei der Rückgabe der Geräte zu unseren Ungunsten verzählt hatte. Man konnte an der Verärgerung unserer Reiseleitung Catherine und Christine Rüppell über die hieraus entstandenen Komplikationen bei der nächsten Veranstaltung (Weinprobe im Château Montcontour) erkennen, wie gründlich die einzelnen Stationen der Reise vorbereitet waren.

In den privat geführten Schlössern betreuten uns Familienangehörige, für die unser Besuch eine finanzielle Unterstützung bedeutete. Sie rechneten uns z.B. genau vor, wie viele Dachschindeln durch unsere Eintrittsgebühren ersetzt werden könnten (La-Ferté-Saint-Aubin). In einem solchen wurde uns auch der Schlosshof für unser eigenes pique-nique zur Verfügung gestellt (Villesavin). Chenonceau besuchten wir sogar zweimal. Beim ersten Mal ging es nur darum, die wunderschönen Gartenanlagen mit einer «promenade nocturne» in der Abenddämmerung zu genießen (exceptionelles Überraschungsevent von den Rüppells). Darüber hinaus spazierten wir im „Parc Florale de la Source“ und besuchten ein Faiënce-Museum. Ein Highlight war die Besichtigung des Schlösschens Clos Lucé, in dem Leonardo da Vinci die letzten Jahre seines Lebens als Vertrauter von Franz I. verbracht hat und wo wir an Beispielen seinen erstaunlichen Erfindungsreichtum bewundern konnten. Dort haben wir im Park auch zu Abend gegessen. Wir wurden hier in die Gaumenfreuden der Renaissance eingeführt. Dieses abendliche Diner war außergewöhnlich stilvoll: z.B. die Tafel in U-Form mit weißen Tischtüchern bis zum Boden, schwarzem Geschirr und Kerzen. Die Versprechungen im Thema der Reise (gastronomischer Spaziergang durch das östliche Loiretal für Genießer) wurden hier wie auch bei weiteren abendlichen Diners voll erfüllt.

Den letzten Tag in Paris gestaltete jeder auf seine Weise. Wir waren in einer Ballettaufführung in der Opéra de la Bastille, was einen abschließenden Höhepunkt für uns darstellte.

Woran konnten wir nun das Weltkulturerbe der UNESCO im östlichen Loiretal erkennen?

Es war eine Zeit mit Königen, deren Leben durch mörderische Gewalt (Heinrich III., Heinrich IV.) oder Unfälle (Karl VIII.) oder beides (Heinrich II.) vor der Zeit endete oder die ihre besseren Hälften nach Strich und Faden hintergingen (Karl VII. mit Agnes Sorel, die auch die busenfreie Mode am Hof einführte, Heinrich II. mit Diane de Poitiers, Franz I. mit „zu vielen, um sie hier aufzuzählen“ (Christine), wo die Sorgen und Ängste der Untergebenen wohl weniger wahrgenommen wurden und wo die Kinder der Küchenbediensteten, um einmal etwas frische Luft zu genießen, nachts heimlich durch Gitterstäbe nach draußen schlüpfen mussten. Das kann das Weltkulturerbe nicht gewesen sein!

Die historisch-politischen Ereignisse in der Zeit zwischen 1400 und 1600 waren es bestimmt auch nicht.

Es war Weltgeschehen, gewiss. Und Christine hat uns im Bus mit viel Geduld und gründlich darüber informiert.

So der hundertjährige Krieg: Die heilige Johanna, die Schutzpatronin Frankreichs, begegnete uns bei unserer Stadtführung in Orléans auf Schritt und Tritt. Und es ist schon interessant, in Tours das Haus gesehen zu haben, in dem die Ritterrüstung für die Heldin geschmiedet worden sein soll.

“Die Engländer eroberten Nordfrankreich bis zur Loire-Linie und begannen 1428 mit der Belagerung von Orléans, dem Schlüssel zu Südfrankreich und dem Dauphin in Bourges. In dieser verzweifelten Lage schöpften die Franzosen durch das Auftauchen eines jungen Mädchens wieder neuen Mut – Johanna von Orléans. Von ihren göttlichen Visionen geleitet, überzeugte sie den Dauphin, dass sie die Franzosen zum Sieg führen werde. Ihr Einsatz führte zur Beendigung der Belagerung von Orléans durch die Engländer.“(frei nach Christine). Das war letztlich die Wende des Krieges und der Beginn des Endes der englischen Herrschaft in Frankreich – und vielleicht der Anfang des Aufstiegs von Frankreich zur Vorherrschaft in Europa unter Ludwig XIV.

Dann Franz I., sein Schloss Amboise und die Auseinandersetzungen mit Karl V.: Für die französischen Schüler standen, wie uns Catherine anschaulich verdeutlichte, vor allem die Italienfeldzüge im Mittelpunkt. Besonders die Schlacht bei Marignano im September 1515 musste jeder Schüler genau kennen, in welcher der junge König dank seines taktischen Geschicks und der überlegenen Feuerkraft seiner Artillerie einen glänzenden Sieg errang. Mailand ging in französischen Besitz über, Frankreich galt als der militärisch stärkste Staat Europas und die Einkreisung durch Habsburg war zeitweise gebändigt.

Schließlich die Religionskriege: Hier lernten wir im Schloss Blois an authentischem Ort mit einem Film aus der Stummfilmzeit einen zentralen Punkt aus dem Machtkampf zwischen Katholischer Liga und Hugenotten kennen: die Ermordung des Anführers der Katholiken Henri de Guise durch die Schergen König Heinrichs III., was schließlich zum Übergang der Herrschaft von den Valois auf die Bourbonen unter Heinrich IV., zum Edikt von Nantes und zum Frieden führte.

Sicher: Schon wegen ihrer historischen Bedeutung war die Loire ihre Reise wert. Aber Weltkulturerbe?

Waren es die Inneneinrichtungen der Schlösser? Man kann das bezweifeln. Diese waren in den wenigsten Fällen Originale an ihrer authentischen Stelle seit der damaligen Zeit. Das ist bei den Wirren, vor allem der französischen Revolution, auch gar nicht anders denkbar. Es waren häufig entweder von anderer Stelle herangeholte Originale, so die eindrucksvollen Gobelins und Sitzmöbel mit ihren gewebten oder geschnitzten Landschaftsbildern im Renaissance-Stil und der neu entdeckten perspektivischen Tiefenwirkung. Oder es waren neue Dekorationen aus der Zeit des Historismus im 19.Jahrhundert.

Das Weltkulturerbe sind die Schlösser selbst, ihre Häufung an diesem Flussabschnitt der Loire und ihre bewundernswerte Architektur.

Der Hauptgrund, warum man sich heute diese Schlösser ansehen sollte, liegt in der Tatsache begründet, dass ihre damaligen Besitzer die Mittel besaßen, sich die größten und damals auch modernsten Künstler und Baumeister herzuholen, welche zu der Zeit lebten. Diese konnten von überall herkommen und kamen in der Renaissance besonders aus Italien (z.B. Leonardo da Vinci). Damit erlebte das Gebiet an der Loire zur Zeit der Spätgotik und Renaissance eine Hochblüte. Und die willkürliche Zerstörung eines Großteils von Amboise, dem Hauptsitz Franz I., durch Richelieu aus Angst vor einem gegnerischen Machtzentrum außerhalb von Paris, tut heute noch weh. Aber was erhalten blieb, beeindruckt umso mehr, wie z.B. die unglaubliche Feingliedrigkeit der Steinmetzarbeiten im Flamboyant-Stil in der kleinen Kapelle, die Ludwig XII. für seine Gattin Anne de Bretagne anfertigen ließ und in der angeblich Leonardo da Vinci begraben liegt. Oder der große Ständesaal im Schloss in seiner reinen Renaissance-Architektur aus einer Verbindung von weißem Sandstein und roten Ziegeln. Angesichts der Architektur könnte man dauernd schwärmen. Hier sei nur noch die besondere innere doppelte Wendeltreppe im Schloss Chambord, eine angebliche Erfindung Leonardos, genannt. Einen eindrucksvollen Überblick über die verschiedenen Baustile der Zeit vermittelte uns Catherine im Innenhof des Schlosses von Blois. Und sogar die Marställe der Zeit sind einer kunsthistorischen Betrachtung wert, wie uns Christine verdeutlichte.

Eine bauliche Besonderheit außerhalb dieser Zeit verblüffte in ihren ungeheueren Ausmaßen gerade durch ihr Fast-nicht-mehr-Vorhandensein: Die romanische Kirche über der Grabstätte des heiligen St. Martin in Tours, die im Mittelalter als Wallfahrtskirche einer der größten Sakralbauten des Westens war. Heute zeugen von dieser fünfschiffigen Kirche nur noch der Uhrturm und der Turm Karls des Großen. Lediglich Pflastersteine markieren die einstigen Ausmaße des bis zu 110 Meter langen Sakralbaus.

Was hat außer dem Weltkulturerbe an der Loire am meisten beeindruckt? Gewiss waren es die Bemerkungen Catherines am Anfang der Reise bei der Fahrt über die Schlachtfelder an der Somme. Die Bedrückung darüber, dass hier 1916, also vor fast hundert Jahren, in nur einem halben Jahr ca. eine Million überwiegend junger Menschen auf beiden Seiten haben ihr Leben lassen müssen. Wenn wir heute in Frieden gemeinsam und versöhnt darüber hinfahren dürfen, wirkt das fast wie ein Wunder.

Und schließlich zum Schluss: Bedeutend wird eine solche Reise, egal, wohin sie geht, wenn man von Menschen wie Catherine und Christine geführt wird. Christine mit ihren sorgfältigen Vorbereitungen und Einzelerklärungen und Catherine, die ihren deutschen Mitreisenden die Liebe zu ihrer Heimat nahebringen möchte und der das besonders durch Hinweise auf Kleinigkeiten gelingt. Wir fahren durch unbedeutende, aber sonnendurchflutete Dörfer. „Nicht in erster Linie die Großstädte, nein, das hier ist Frankreich.“ Aber auch Paris weiß sie uns in besonderer Weise zu vermitteln, als wir am Morgen von dort aus unsere Heimreise antreten. „Sehen Sie hinaus, das ist Paris am Morgen. Die Touristen sind noch nicht da. Hier werden die kleinen Cafés geöffnet, und dort, die Frau mit dem Hund, sie trägt gerade ihr Baguette für das Frühstück nach Hause.“

Vielen herzlichen Dank für diese Reise, Catherine und Christine Rüppell, und für Ihre Leitung.